Mon Dec 18 2023
Janina Winkler kommt aus Ostberlin – und ging 1990 als erste Austauschschülerin aus der DDR mit STS in die USA. Als Janina im Sommer 1990 nach Springfield, Illinois aufbrach, war die Mauer noch kein Jahr gefallen, Ost und West noch nicht wiedervereint. Ihre Mutter lieh sich das Geld für die Programmgebühr von Freunden aus dem Westen. „STS war damals sehr verwundert und meinte, ich sei die erste Austauschschülerin aus der DDR, die sie in die USA vermitteln“, erinnert sich Janina. Dass sie gut Englisch sprach, sei reiner Zufall gewesen. „Ich hatte einen Englischlehrer, in den wir alle total verknallt waren. Deshalb hatte ich mich so richtig ins Zeug gelegt!“
In den USA erlebte Janina das totale Kontrastprogramm zum Berlin-Friedrichshain der Vorwendezeit. Ihre Gastfamilie züchtete Angus-Rinder auf einer Farm, Janinas Zimmer war im englischen Landhausstil eingerichtet. Als DDR-Mädchen kam sie sich manchmal vor wie eine Ausserirdische. So war ihre Gastschwester entsetzt über Janinas Achselhaare. „Sie wies mich an, die sofort zu rasieren, was ich dann auch zum ersten Mal in meinem Leben tat.“ Janina dagegen war erstaunt über die ausgiebigen Schmink-Sessions ihrer Gastschwester, Milchflaschen, Chips und Popcorn in Jumbogrösse und insgesamt vier Fernseher im Haus. „Alles war viel und gross! Ich war im kapitalistischen Schlaraffenland.“ Janina machte Urlaub in Florida, fuhr Ski in Colorado, erlebte Thanksgiving-Tafeln, auf denen sich die Leckereien stapelten und war überwältigt vom amerikanischen Weihnachten. „Ich bekam über 50 Geschenke. Es hat meiner Gastmutter Spass gemacht, mich zu beschenken, weil sie wusste, dass es das im Osten nicht so gab.“
An der Schule wurde Janina Mitglied im Track and Field-Team und fand dort gute Freunde. Erstaunt war sie über ihren Stundenplan mit Fächern wie Fahrschule, Kochen oder Parenting – und darüber, wie wenig ihre Mitschüler, aber auch deren Eltern über internationale Politik und andere Länder wussten. „Viele kannten Mitteleuropa nur aus einem TV-Sender, der sehr beliebt war und rund um die Uhr über die beiden Weltkriege berichtete. Ihr Bild von Europa war aus den 1940er Jahren.“ Umso begeisterter aber war Janina vom Essen in der Schulkantine: „Es gab jeden Tag Hamburger und Hotdogs. Totales Junkfood, aber modisch.“ Und sie feierte den amerikanischen Hiphop von MC Hammer oder Body Count und den pompösen Prom. „Ich kam aus dem tiefsten Sozialismus in den krassesten Kapitalismus. Diese Art von Konsum war ja sogar für Westler aus Europa befremdlich. Aber ich habe mich von meinen Gasteltern sehr geliebt gefühlt – und hatte von da an stets das Gefühl, dass wir Ost-Berliner nun überall auf der Welt zu Hause sein können.“
Die ganze Geschichte erzählte Janina Winkler dem Tagesspiegel. Ich war im kapitalistischen Schlaraffenland. Katharina Viktoria Weiß, 2.10.2023.