Freundschaft über Generationen

Tue Mar 05 2024

1985 reiste Melinda Krause aus den USA für einen Sommer nach Deutschland. Sie ahnte nicht, dass ihre Sprachreise zu interkulturellen Verbindungen über mehrere Generationen führen würde. Fast 40 Jahre später ist die Tochter ihrer Gastschwester als Austauschschülerin in ihrem Haus. Melinda und Claudia erzählen von ihren gemeinsamen Erfahrungen als Austauschschüler und wie sie Weltoffenheit an ihre Kinder weitergegeben haben.

Melinda:

Im Sommer 1985 stieg ich als 16-jähriges Mädchen aus Denver, Colorado, in einen PanAm-Flug und freute mich auf meine kulturelle Sommererfahrung, ohne zu ahnen, dass sich mein Leben für immer verändern würde. Als ich in Deutschland landete, begrüßte mich meine neue Gastfamilie am Flughafen. Ich erinnere mich, wie ich Oma und Opa (Claudias Großeltern, bei denen sie lebte) kennenlernte und dachte, sie seien einem deutschen Märchen entsprungen.

Ich stieg in ihren roten Golf und probierte deutsches Brot, während meine neue Gastschwester Claudia mir meine ersten deutschen Worte beibrachte: "Ich bin Melinda." Es war meine erste Erfahrung außerhalb meines Heimatstaates Colorado. An mir zogen hundertejahrealte Gebäude voüber, andere Arten von Autos, Schilder, die ich nicht lesen konnte. Ich war völlig gebannt. Die Familie lebte in einem winzigen Dorf namens Hitzacker. Alles um mich herum war ganz anders und völlig fremd, auch die Sprache. Ich sprach kein Deutsch, Oma und Opa gar kein Englisch, genau wie die meisten Menschen in dieser Stadt. Claudia war eine der wenigen Personen, mit denen ich mich verständigen konnte.

In den zwei Monaten, die wir zusammen verbrachten, entwickelten Claudia und ich eine enge Freundschaft. Wir lachten viel, redeten bis spät in die Nacht und entdeckten bald, dass wir ähnliche Dinge mochten, obwohl wir aus unterschiedlichen Welten kamen: mit Freunden am Pool abhängen, Musik und Filme. Wir fürchteten uns vor dem Ende des Sommers, wenn wir nicht mehr zusammen sein würden und beschlossen, dass Claudia zu mir und meiner Familie in die USA ziehen musste.

Unser Abschied war herzzerreißend. Damals gab es natürlich noch keine E-Mails, sozialen Medien oder Textnachrichten. Also schrieben wir uns viele Briefe hin und her, bis zum Ende des Sommers 1986, als Claudia in Denver ankam, um bei uns zu leben und mit mir die High School zu besuchen. Wir hatten zwar keinen gemeinsamen Unterricht, aber viele der gleichen Freunde und gingen zu zweit zum Homecoming. Natürlich gab es auch schwierige Momente. Die Anpassung an eine neue Kultur, neue Regeln, eine neue Schule, eine neue Sprache und ein völlig anderes Familienleben kann eine große Herausforderung sein. Trotzdem war unsere Freundschaft tief. Als unsere gemeinsame Zeit dem Ende zuging, machten Claudia und ich einen kleinen Ausflug in die Berge. Diese Zeit nur für uns beide war ein schöner Abschluss.

Wir wurden erwachsen, aber blieben weiterhin durch Briefe in Kontakt und hielten uns gegenseitig über unser Leben auf dem Laufenden. Wir schrieben über unsere Karrieren, die lustigen Abenteuer, die wir erlebten, die Menschen, mit denen wir uns trafen, und den Kummer, den wir durchmachten. Im Jahr 2002 lud Claudia, die alleinerziehende Mutter war, mich und meinen Sohn zu ihrer Hochzeit mit Jürgen ein, und natürlich kamen wir. Mein Herz ging auf, als ich sah, wie mein kleiner Sohn mit meiner deutschen Schwester und ihrem neuen Mann umging. Unsere Familie wurde größer.

Ein Jahr später, als ich meinen Mann Stuart heiratete, kamen Claudia und Jürgen zu unserer Hochzeit. Von 2004 bis 2007 wuchsen unsere Familien weiter und wir hielten uns über unsere Schwangerschaften und Geburten auf dem Laufenden. Im Jahr 2009 waren wir zu Besuch in Deutschland und lernten die Zwillingsmädchen Neele und Jette von Claudia und Jürgen kennen, die damals 3 Jahre alt waren. Mein Mann sah das kleine Dorf Hitzacker, in dem Claudia und ich uns zum ersten Mal trafen und den Sommer zusammen verbrachten. 2012 trafen wir uns auf Mallorca wieder, um Claudias 10. Hochzeitstag zu feiern. Wie Schwestern teilen wir immer noch unser Leben und jetzt auch unsere Familien.

Unser gegenseitiges Versprechen, dass unsere Kinder sich eines Tages kennenlernen würden, schien sich zu erfüllen, als Neele beschloss, in die USA zu kommen und bei uns zu wohnen, um die amerikanische Kultur und High School kennenzulernen. Wir waren überglücklich, sie in unserem Zuhause zu empfangen. Doch dann kam uns Covid dazwischen. Unser Schulbezirk ließ in den Schuljahren 20/21 und 21/22 keine Austauschschüler zu. Neeles Traum und unser Versprechen von früher ließen sich nicht erfüllen. Im Sommer 2022 kam dann Neele mit ihrem Vater zu Besuch. Jürgen blieb nur kurz, aber Neele den Sommer, genau wie ich damals in meinem Austausch in Deutschland. Endlich waren unsere Familien vereint. Nathan und Jacob hatten Spaß daran, Neele ihren Freunden vorzustellen und ihr die High School zu zeigen. Sie nahmen sie mit nach Red Rocks und den Traumort der meisten Mädchen, eine amerikanische Mall. Dank Social Media waren unsere Kinder ständig in Kontakt. Sie schickten sich ständig Snaps, was ich, die noch Briefe schreibt, nicht ganz verstehe. Schließlich bekamen wir im April 2023 die offizielle Nachricht, dass Neele ein Jahr bei unserer Familie verbringen würde. Am 8. August, als Neeles Flugzeug endlich in Denver landete, schien es so unwirklich, dass meine deutsche Schwester und ich fast 40 Jahre später endlich unsere Familien teilen würden. Eine Verbindung, die wir durch unseren Kulturaustausch aufgebaut haben, erstreckt sich nun auf die nächste Generation.

Claudia:

Als ich Mitte der 1980er Jahre ein Teenager war, lebte ich in dem winzigen Dorf Hitzacker in der Nähe von Hamburg. Ich träumte von Amerika, einem Land, das so weit weg und so anders war. Damals hatten wir kein Internet, keine sozialen Medien, keine Handys, aber meine Lehrerin erzählte mir von Austauschprogrammen. Ich fand die Adresse von STS in Hamburg im Telefonbuch und schrieb einen Brief. So fing alles an.

Zunächst haben wir Melinda im Sommer 1985 bei uns zu Hause in Deutschland aufgenommen. Diese Erfahrung hat mich überzeugt, ein Jahr später in die USA zu gehen, und dieses Austauschjahr veränderte mein Leben. Ich war ein Mädchen aus einer Kleinstadt, 17 Jahre alt und nicht sehr selbständig.

Mein Zuhause, meine Familie und meine Freunde in Deutschland zu verlassen, hat mir sehr geholfen, meinen Weg in der Welt zu finden. Es war nicht immer einfach, in einem anderen Land mit so vielen anderen Regeln zu leben, aber es hat mich viel stärker gemacht. Ich habe gelernt, mich anzupassen und auf meine Fähigkeiten zu vertrauen, und es hat zu einer lebenslangen Freundschaft mit meiner amerikanischen Gastschwester Melinda geführt. Ich bin sehr dankbar für dieses Geschenk.

Wir haben uns durch alle Lebensphasen begleitet, Berufseinstieg, Heirat und Kinder. Heute kann ich nur an junge Leute appellieren, ins Ausland zu gehen. Es ist eine wunderbare Reise, die man nie vergessen wird und die den Horizont für das ganze Leben öffnet.

Ich bin glücklich, dass meine Tochter Neele gerade STS-Austauschschülerin ist und bei Melindas wunderbarer Familie in Colorado wohnt.